Unheimlich vertraut. Zur Kunst von Candia Neumann 

 

Candia Neumanns Installationen und Objekte sind auch deshalb einladend, weil sie zunächst mit Vertrautem locken: eine Festtafel, Fotos von Kinderbetten, Kleider aus zartem Material oder Pralinen in Kapseln. Der Betrachter trifft auf Gegenstände und Situationen, die er in vergleichbarer Weise nicht nur kennt, sondern die er häufig mit Erinnerungen an emotional berührende Momente verbindet: Sie liegen fest verankert in der Kindheit, kristallisieren sich bei festlichen Anlässen oder stehen mit persönlichen Erfahrungen in menschlichen Beziehungen in Verbindung. Die Begegnung mit dem scheinbar Vertrauten, oft Familiärem senkt beim Betrachten die Hemmschwellen und macht unvorsichtig. Darauf legt es Candia Neumann an.

 

Dass hinter der Heimeligkeit oft das Unheimliche liegt, ist bereits seit Sigmund Freud im Bewusstsein verankert. Das einst Vertraute, dann Verdrängte, nun aber erneut an die Oberfläche Dringende liegt, Freud zufolge, auch dem fiktiven Unheimlichen zugrunde. Bei Candia Neumann wird es hervorgerufen durch kleine Unregelmäßigkeiten und Disharmonien in den Werken. So besteht beispielsweise die Festtafel aus Asche, dem Ergebnis einer materiellen Zerstörung (‚eingedeckt‘, 2010; ‚et cetera‘, 2015). Ein Kleid aus feinem Stoff wie Organza ist mit Injektionsnadeln verbunden (‚organza‘, 2008), in Kinderbetten liegen nicht verknitterte Babys von Menschen, sondern von Mäusen (‚barm-herzig‘, 2009), und ein Wanddekor aus regelmäßig angeordneten, leichten Pralinenkapseln evoziert eher den Eindruck eines gefängnisartigen Abhörraumes als den Gaumen kitzelnden Geschmack einer Süßigkeit (‚küchendekor‘, 2010).

Das Heimelige ist bei Candia Neumann gleichzeitig das Unheimliche, das aus einer Erinnerung erwächst, die, so zwei Werktitel von 2012/13, zunächst ein ‚süßes Erinnern‘ ist, sich dann aber besser ins ‚süße Vergessen‘ verabschieden sollte.

Es sind gerade die Kleinigkeiten, auf die die Künstlerin Wert legt. Ihre Werke sind genau gearbeitet, so dass die kleinen Verletzungen der Harmonie und die Verschiebungen in den Bedeutungen oft verspätet sichtbar werden und dann umso mehr Gewicht haben.

Auffällig ist, dass die Künstlerin in ihren Zeichnungen, deren Linien das Gezeigte gekonnt auf den Punkt bringen, expliziter wird. Die Verschlingungen der Striche scheinen die Verflechtungen von Vertrautem und Bedrohlichem zu visualisieren, oft sind Körper oder Dinge auch versehrt, Gewalt wird offenbar.

Doch die Stärke der Künstlerin liegt in ihrer Fähigkeit zur Ästhetisierung. Das wird trefflich sichtbar in einer ihrer aus einer Zusammenarbeit mit Ragnar Kopka erwachsenen Kurzfilme. In ‚Transformation‘ (2016) lässt die Künstlerin Kaffeekannen in unterschiedlichen Tempi auf dem Boden zerschellen. Das gezeigte Geschirr war in der Eltern- oder Großeltern-Generation in Benutzung und steht für den gepflegten, ritualisierten Kaffeeklatsch bei Gebäck und Unterhaltung. In Candia Neumanns Kurzfilm sind laute Klatschgeräusche zu hören, doch entstehen sie beim Zerspringen der Kannen auf hartem Boden und nicht beim Plaudern während des Kaffeetrinkens. Es liegt eine Schönheit im Auseinanderbersten der Kannen, die die Zerstörung von materiellen Relikten von Vergangenem verwinden lässt. Denn schließlich bleibt die Erinnerung bestehen und sie wird umso süßer als man sich ihr im Heute zupackend gestellt hat.

Dr. Bernd Apke 2016